„Heute hat er schon den dritten Film geschaut – und es ist erst Mittag“, sagt Selin*, 35, und schaut auf das Tablet, auf dem ihr siebenjähriger Sohn gerade gebannt einen Animationsfilm verfolgt. Sie wirkt müde, erschöpft, ehrlich. „Ich weiß, dass das zu viel ist. Aber manchmal weiß ich nicht, wie ich es sonst schaffen soll.“
Selin ist alleinerziehend. Sie lebt mit ihrem Sohn in einer kleinen Wohnung in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand. Ihr Alltag ist ein ständiger Drahtseilakt zwischen Erschöpfung, Haushalt, Behördenstress und der Sorge, ihrem Kind nicht gerecht zu werden.
Das Tablet: Rettung und Risiko zugleich
„Anfangs war es nur zur Ablenkung – mal 30 Minuten, damit ich kochen kann. Dann eine Stunde, damit ich mal durchatmen kann. Und irgendwann wurde es zur Routine“, erzählt sie.
Der Bildschirm ist für viele Eltern längst mehr als ein Gerät: Er ist eine Entlastung, ein Notnagel, manchmal auch ein Fluch. Besonders dann, wenn emotionale und soziale Ressourcen fehlen – oder einfach niemand da ist, der hilft.
„Ich habe kein Geld für Freizeitangebote, keine Familie in der Nähe, und er hat keine Geschwister“, sagt Selin. „Ich spiele mit ihm, so gut ich kann. Aber ich bin auch nur ein Mensch.“
Bildschirmzeit statt Kindheit?
Pädagogisch betrachtet ist ein ganzer Tag vor dem Fernseher oder Tablet für ein siebenjähriges Kind problematisch: Die Konzentration leidet, Bewegung fehlt, die Fantasie verkümmert. Aber das weiß auch Selin – und genau das macht ihr zu schaffen.
„Ich schäme mich manchmal“, sagt sie. „Wenn andere Mütter erzählen, dass sie basteln, lesen, draußen sind – dann fühle ich mich wie eine Versagerin.“
Dabei ist ihre Situation kein Einzelfall. Viele Eltern – besonders Alleinerziehende oder solche mit wenig Geld – greifen aus Not und Erschöpfung zur digitalen Beruhigung. Was fehlt, sind echte Alternativen: mehr Unterstützung im Alltag, bezahlbare Freizeitangebote, niedrigschwellige Hilfen für Familien am Limit.
„Ich will mehr – für ihn und für mich“
Selin hat angefangen, sich Hilfe zu suchen. Sie war bei einer Familienberatung, hat mit der Lehrerin ihres Sohnes gesprochen, und besucht seit Kurzem einen kostenlosen Spieltreff im Viertel. Es sind kleine Schritte – aber sie zeigen Wirkung.
„Ich will, dass er sich an eine schöne Kindheit erinnert – nicht nur an Filme“, sagt sie. „Und ich will lernen, dass ich nicht perfekt sein muss, um eine gute Mutter zu sein.“
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