In einem ruhigen Vorort lebt Sarah M., 34 Jahre alt, mit ihrer achtjährigen Tochter Emma – und zwei weiteren „Kindern“, die auf den ersten Blick wirken wie echte Babys. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Die beiden Kleinen sind Reborn-Puppen – lebensechte Nachbildungen von Neugeborenen, mit täuschend echter Haut, feinen Haaren und realistischem Gewicht. Und Sarah behandelt sie, als wären sie echte Familienmitglieder.
Ein liebevoller, ungewöhnlicher Haushalt
Emma, die Grundschülerin mit den wachen Augen, sieht kein Problem darin, dass ihre Mutter neben ihr auch „Lina“ und „Mika“ umsorgt. Im Gegenteil: Sie bezieht die beiden Puppen ganz selbstverständlich in ihren Alltag ein. „Mama sagt, sie sind wie kleine Geschwister“, erklärt sie mit einem Lächeln. Jeden Morgen kleidet Sarah die Puppen neu ein, bereitet Fläschchen vor, wäscht Babykleidung und geht mit dem Kinderwagen spazieren – die Reborns stets mit dabei.
Was für Außenstehende seltsam wirkt, hat für Sarah eine tiefe Bedeutung
„Es ist kein Ersatz für echte Kinder, sondern eine Form der Selbstfürsorge“, sagt Sarah. Nach einer belastenden Trennung und einer längeren Phase psychischer Erschöpfung entdeckte sie Reborns als Weg zurück zur Stabilität. „Sie geben mir Struktur, Trost und helfen mir, besser mit Stress umzugehen.“ Die Betreuung der Puppen sei für sie kein Spiel – sondern ein Ritual, das Sicherheit vermittelt.
Reborns: Therapie oder Realitätsflucht?
Was für manche absurd oder gar beängstigend wirkt, hat in der Psychologie durchaus eine Grundlage. Reborn-Puppen werden teilweise tatsächlich in der Therapie eingesetzt – etwa bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, nach Fehlgeburten oder bei Demenzpatienten. Doch die Grenzen zwischen therapeutischem Nutzen, Hobby und möglicher Realitätsflucht sind fließend.
Die Psychologin Dr. Karin Wenzel sagt dazu: „Wenn eine erwachsene Person Puppen wie Kinder behandelt, kann das ein gesundes Ventil sein – solange sie den Unterschied zur Realität kennt und soziale Beziehungen nicht darunter leiden.“
Und das Kind?
Was viele bei solchen Geschichten beunruhigt: Wie wirkt sich so ein Alltag auf das echte Kind aus? Im Fall von Emma scheint das Band zwischen Mutter und Tochter stark. „Ich weiß, dass Lina und Mika keine echten Babys sind“, sagt das Mädchen. „Aber ich finde es schön, wenn Mama sich um sie kümmert. Manchmal spiele ich mit – manchmal nicht.“
Sarah achtet darauf, Emma nicht zu vernachlässigen. „Meine Tochter steht immer an erster Stelle. Die Puppen helfen mir, gelassener zu sein – und dadurch kann ich eine bessere Mutter für sie sein.“
Zwischen Nähe und Irritation
Der Alltag dieser kleinen Familie bewegt sich irgendwo zwischen Fürsorge und Fantasie, zwischen Nähe und Irritation. Für Sarah ist das Zusammenleben mit Reborn-Puppen keine Flucht, sondern ein Anker. Für Außenstehende bleibt es ein ungewöhnliches Bild – doch eines, das zum Nachdenken anregt: Was ist schon „normal“, wenn es um Trost, Liebe und familiäre Bindung geht?