Als die 45-jährige Miriam S. vor fünf Jahren das erste Mal das Formular für Bürgergeld ausfüllte, war es für sie ein Schritt, der sich anfühlte wie das Öffnen einer schweren Tür. Ihr Körper war damals ausgelaugt von Schichtarbeit, ihre Ehe zerbrach, und mit der Arbeitslosigkeit kam auch die Angst. Das Bürgergeld war für sie ein Rettungsfloß, das sie zumindest über Wasser hielt.
Was Miriam nicht wusste: In einem anderen Teil Europas lief gleichzeitig ein unscheinbarer bürokratischer Fluss weiter – eine kleine, aber regelmäßige Auslandsrente aus einem früheren Job, den sie als junge Frau angenommen hatte. „Ich hatte das völlig vergessen“, sagt sie. „Damals war ich kaum über zwanzig und dachte nie, dass aus diesen Beiträgen einmal etwas wird.“
Doch sie wurden. Und zwar ohne, dass sie es bemerkte – oder meldete.
Die Rückforderung
Fünf Jahre später flatterte ein Schreiben ins Haus. Ein weißes Blatt, harmlos wie eine Serviette, aber mit dem Gewicht eines Mühlsteins: 100.000 Euro Rückforderung. Viel mehr als Miriam in dieser Zeit überhaupt erhalten hatte. Der Grund: die nicht angegebenen Rentenzahlungen aus dem Ausland, die ihr Bürgergeld zumindest teilweise ausschlossen.
Miriam fiel in eine Art inneres Bodenlosen. „Ich dachte, das sei ein Fehler. Hunderttausend? Das ist eine Summe, die für mich nur in Filmen existierte.“
Die Mechanik des Systems
Behörden kennen keine Vergesslichkeit, nur Datenabgleiche. Die Auslandsrente wurde irgendwann erfasst, automatisiert abgeglichen, und der Fall ploppte wie ein rotes Signallicht im System auf. Rückforderung wegen Pflichtverletzung, so die offizielle Sprache. Dass die Realität oft viel weniger streng ist als ein Gesetzestext, geht darin unter.
So steht Miriam heute vor einer Rechnung, die sie allein nie wird bezahlen können. Ihr Anwalt spricht von „Härtefall“, vom möglichen Erlass oder einer realistischen Ratenregelung. Doch der Weg dahin ist steinig – ein Korridor aus Paragrafen, in dem jeder Schritt zählt.
Zwischen Abgrund und Neubeginn
Miriam ist inzwischen wieder berufstätig. Sie arbeitet halbtags in einer kleinen Praxis und versucht, nicht ständig darüber nachzudenken, was über ihr hängt wie ein unsichtbarer Fels. „Ich habe gelernt, dass man kämpfen muss. Aber ich hoffe, dass man auch gesehen wird – nicht nur als Fallnummer.“
Der Fall von Miriam S. wirft ein Schlaglicht auf die verwickelte Beziehung zwischen Sozialleistungen und internationalen Rentensystemen. Und darauf, wie schnell Menschen zwischen den Maschen hängen können, wenn Formulare und Lebensläufe sich nicht decken.
Ob Miriam die enorme Summe jemals zahlen muss – oder ob ein Teil erlassen wird – ist noch offen. Doch eines sagt sie mit klarer Stimme:
„Ich will einfach nur wieder normal atmen können.“