Jeden Dienstagvormittag steht Sabine* mit einem kleinen Einkaufswagen vor dem Discounter-Regal. Sie schaut auf die Preise, rechnet im Kopf und legt am Ende nur das Allernötigste in den Wagen: No-Name-Nudeln, das günstigste Brot, reduzierte Milch. Markenware kommt ihr selten ins Haus. Nicht aus Überzeugung – sondern aus Notwendigkeit.
Sabine ist 45, geschieden, und arbeitet halbtags als Kassiererin. Was nach Abzug von Miete, Strom, Versicherung und Busfahrkarte bleibt, reicht kaum für mehr als das Nötigste. Ihre Kinder sind längst aus dem Haus, doch die finanzielle Enge ist geblieben. Luxus ist, wenn am Monatsende noch etwas für einen Kaffee außer Haus bleibt.
Sparen als Lebensstil? Nein – als Überlebensstrategie
Sabine kennt sich aus: Sie weiß, wann was im Supermarkt reduziert wird, erkennt versteckte Preiserhöhungen und scannt automatisch die untersten Regalböden – dort, wo die billigsten Produkte stehen. „Manchmal fühlt man sich wie ein Detektiv“, sagt sie und lächelt dabei schief. Doch die Realität dahinter ist alles andere als spielerisch. Sie spart nicht, weil sie will, sondern weil sie muss.
Soziale Isolation im Konsumtempel
„Wenn ich sehe, wie andere einfach Dinge einpacken, ohne auf den Preis zu schauen, dann frage ich mich manchmal, ob ich gescheitert bin“, sagt Sabine leise. Besonders unangenehm sei es, wenn Bekannte sie an der Kasse sehen. „Ich schäme mich nicht für das, was ich kaufe. Aber ich schäme mich manchmal dafür, wie wenig es ist.“
Der Supermarkt – für viele ein Ort des Alltags – wird für Menschen wie Sabine schnell zur Bühne eines gesellschaftlichen Unterschieds.
Zwischen Stolz und Frust
Sabine lebt bewusst. Sie kocht alles selbst, wirft kaum etwas weg, kennt zahllose Rezepte mit wenigen Zutaten. Sie ist kreativ im Mangel – und stolz darauf. Aber der Preis dafür ist hoch. „Sparsamkeit kann zur zweiten Haut werden. Irgendwann weiß man gar nicht mehr, wie es ist, einfach mal zu sagen: ‚Ich gönn mir was.‘“
Hinzu kommt das Gefühl, übersehen zu werden. In politischen Debatten über Armut, Inflation oder soziale Gerechtigkeit kommen Menschen wie Sabine selten zu Wort – obwohl sie genau davon betroffen sind.
Kein Einzelfall
Sabine ist keine Ausnahme. Immer mehr Menschen, gerade Frauen im mittleren Alter, rutschen trotz Arbeit in eine stille Armut. Prekäre Jobs, Scheidungen, Erziehungszeiten und steigende Lebenshaltungskosten treffen sie mit voller Wucht. Doch über sie wird kaum gesprochen. Sie sind die Unsichtbaren mit Einkaufszettel – und die Ersten, die auf Sonderangebote warten müssen.
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