Wenn andere von ihren Reisen nach Italien, Thailand oder Island erzählen, hört Erich M. (73) aus Niederbayern interessiert zu – aber nicht neidisch. Er selbst hat sein ganzes Leben lang nie Urlaub im Ausland gemacht. „Warum auch?“, fragt er schulterzuckend. „Wir haben doch alles hier.“
Gemeinsam mit seiner Frau Anneliese (71) lebt er seit über vierzig Jahren in einem kleinen Haus am Dorfrand. Beide sind verwurzelt mit der Region, kennen jeden Wanderweg, jeden Badesee, jeden Biergarten. „Wir waren oft im Bayerischen Wald, in Garmisch, an der Altmühl – das war unser Urlaub“, erzählt Erich mit ruhiger Stimme. Die Augen seiner Frau leuchten, als sie ergänzt: „Und wir haben immer gesagt: Wenn das Wetter nicht passt, bleiben wir halt daheim. War auch schön.“
Unverständnis bei den Kindern
Ihre beiden Kinder – heute Mitte 40 – sehen das ganz anders. „Ich verstehe es bis heute nicht“, sagt Tochter Stefanie. „Wir haben sie schon so oft eingeladen, sogar mitbezahlt – eine Woche Mallorca, ein Städtetrip nach Rom – aber sie wollen einfach nicht.“
Sohn Thomas nickt. „Ich glaube, sie haben Angst vor dem Neuen. Oder sie denken, dass es nur Stress ist.“
Erich M. widerspricht höflich, aber bestimmt: „Es ist keine Angst. Es ist einfach kein Bedürfnis. Ich brauche keine fremden Strände, um glücklich zu sein. Ich sitze lieber in meinem Garten, trinke mein Bier und schaue den Vögeln zu.“ Seine Frau ergänzt: „Das ist für uns Erholung.“
Ein Generationenkonflikt?
Für viele Ältere ist Erich M. kein Einzelfall. In der Nachkriegszeit groß geworden, bedeutete Urlaub lange Zeit einfach: ein paar Tage am See, oft mit dem Zelt, selten mit dem Auto. Flugreisen waren Luxus. „Wir haben uns an das Einfache gewöhnt – und es hat uns gereicht“, sagt Erich.
Die heutige Generation sei ganz anders aufgewachsen: „Unsere Kinder sind mit dem Billigflieger nach dem Abi schon um die halbe Welt gejettet. Für die ist das normal.“
Kein Fernweh – aber tiefe Zufriedenheit
Was auf den ersten Blick wie Verzicht wirkt, ist für das Paar eine bewusste Entscheidung – und Ausdruck einer ganz eigenen Lebensphilosophie. „Man muss nicht überall gewesen sein, um glücklich zu sein“, sagt Anneliese. Und ihr Mann ergänzt: „Ich hab nie das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben.“
Ob sie es im hohen Alter doch noch einmal wagen würden – ein Urlaub im Ausland, nur um zu sehen, wie es ist? Erich lacht: „Wenn ich ehrlich bin – wahrscheinlich nicht. Aber wer weiß. Vielleicht fahr ich mit 80 noch nach Südtirol. Ist ja fast noch Bayern.“
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