Als Siera aufwuchs, schien alles ganz „normal“ zu sein. Sie wurde als Mädchen erzogen, trug Kleider, spielte mit Puppen und wurde von ihrer Umwelt auch eindeutig als Mädchen wahrgenommen. Nichts deutete darauf hin, dass etwas an ihrem Körper oder ihrer Identität anders sein könnte – bis sie 16 Jahre alt wurde.

Während ihre Freundinnen über Menstruationsbeschwerden klagten oder sich über Tampons und Binden austauschten, wartete Siera vergeblich auf ihre erste Periode. Nach einer Weile wurde ihre Mutter Kelly stutzig und vereinbarte einen Arzttermin. Was als Routineuntersuchung begann, sollte ihr Leben für immer verändern.

Eine Diagnose, die alles infrage stellte

Die medizinischen Untersuchungen zeigten, dass Siera eine sehr kleine Gebärmutter hatte – und dass sich ihre Eierstöcke nicht entwickelt hatten. Weitere Tests ergaben schließlich, dass Siera XY-Chromosomen besitzt – also jene Chromosomenkombination, die biologisch typischerweise Männern zugeordnet wird. Die Diagnose: Intersexualität. Das bedeutet, dass Siera mit körperlichen Merkmalen geboren wurde, die nicht eindeutig „männlich“ oder „weiblich“ sind – in ihrem Fall hatte sie weibliche äußere Merkmale, aber genetisch war sie männlich.

Die Nachricht war ein Schock. „Am Anfang bedeutete intersexuell für mich: 'Das ist ein Tabu, ich will niemandem davon erzählen'“, erzählte Siera später in einem Interview mit Truly. Die Diagnose bedeutete auch, dass Siera keine eigenen biologischen Kinder bekommen kann – eine Erkenntnis, die sie bereits in ihrer Jugend verarbeiten musste.

Der lange Weg zur Selbstakzeptanz

In einer Gesellschaft, die Menschen oft in die binären Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ einordnet, war es für Siera nicht einfach, ihren Platz zu finden. Lange Zeit fühlte sie sich allein, verwirrt – und falsch. Doch mit der Zeit begann sie, sich intensiver mit ihrer Identität auseinanderzusetzen. Sie informierte sich, suchte Kontakt zu anderen intersexuellen Menschen und fand schließlich den Mut, offen über ihre Geschichte zu sprechen.

Heute, mit 27 Jahren, steht Siera zu sich selbst. Sie beschreibt sich als „technisch gesehen sowohl männlich als auch weiblich“ – und fühlt sich endlich wohl in ihrem Körper. Statt ihre Intersexualität zu verstecken, hat sie gelernt, sie als Teil ihrer Identität zu akzeptieren – und sogar stolz darauf zu sein.

Sichtbarkeit und Aufklärung

Siera möchte mit ihrer Geschichte anderen Mut machen. „Intersexualität ist kein Tabu. Es ist einfach eine von vielen natürlichen Varianten menschlicher Körper“, sagt sie. Ihr Wunsch: mehr Sichtbarkeit, mehr Aufklärung – und weniger Scham.

Denn obwohl intersexuelle Menschen schätzungsweise etwa 1,7 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen – also ähnlich häufig wie Menschen mit roten Haaren – wird das Thema in der Öffentlichkeit noch immer kaum diskutiert. Viele Betroffene erleben Stigmatisierung, Zwangsoperationen im Kindesalter und ein tiefes Gefühl von Isolation.

Ein Leben jenseits von Schubladen

Siera ist ein Beispiel für eine neue Generation von intersexuellen Menschen, die offen über ihre Erfahrungen sprechen und sich nicht länger verstecken wollen. Ihr Leben zeigt: Geschlecht ist nicht immer eindeutig – und das ist völlig in Ordnung.

„Ich bin intersexuell – und ich bin stolz darauf“, sagt Siera heute. Ein Satz, der nicht nur ihr eigenes Leben verändert hat, sondern hoffentlich auch das vieler anderer.

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