Sie lebt in einer kleinen Wohnung in der Stadt, arbeitet halbtags im Einzelhandel – und ist überzeugt davon, eine Nixe zu sein. Keine ironische Pose, kein Scherz: Für die 40-jährige Katrin ist es eine tief empfundene Wahrheit. Sie sagt, sie spüre das Meer in sich, sei dem Wasser innerlich verbunden und glaube, dass ihre Seele nicht ganz menschlich sei. Was für Außenstehende seltsam oder gar verrückt klingen mag, ist für sie ein Akt der Selbstverwirklichung.
Mythos oder mentale Flucht?
Die Vorstellung, eine Nixe zu sein – halb Frau, halb Wasserwesen – hat eine lange kulturelle Geschichte. In Sagen und Legenden sind Nixen geheimnisvoll, frei, unnahbar und oft tief mit der Natur verbunden. Für Katrin ist diese Identifikation kein Spiel, sondern eine Form spiritueller Realität. Sie trägt oft Muschelschmuck, badet stundenlang, spricht vom Ozean wie andere vom Zuhause – und fühlt sich in Menschenmengen fehl am Platz.
Psychologen ordnen solche Selbstbilder unterschiedlich ein. Für manche ist es schlicht ein Ausdruck von Fantasie und individueller Identität. Für andere kann es ein Hinweis auf psychische Belastungen sein – etwa als Symbol für das Bedürfnis, dem Druck der Welt zu entkommen.
„Wenn jemand sich als Nixe fühlt, heißt das nicht automatisch, dass er den Bezug zur Realität verloren hat“, erklärt eine Therapeutin. „Es kann auch eine kreative Strategie sein, um mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen.“
Zwischen Selbstfindung und Selbsttäuschung
Katrin selbst spricht nicht von einer Störung. Sie wirkt ruhig, reflektiert, nicht abgehoben. Ihre Nixen-Identität ist für sie kein Karnevalskostüm, sondern Ausdruck innerer Wahrheit. Und sie ist damit nicht allein: In Online-Foren tauschen sich Menschen aus, die sich als Meerwesen, Elfen oder Feen sehen. Für viele ist das Teil einer tiefergehenden spirituellen Bewegung, manchmal auch als „Otherkin“ bezeichnet.
Kritiker sprechen jedoch von Realitätsflucht oder narzisstischer Selbstinszenierung. Doch wer bestimmt eigentlich, was „normal“ ist? Ist es wirklich verrückter, sich als Nixe zu fühlen, als sich in die Normen einer hektischen, konsumgetriebenen Welt zu zwängen?
Die Suche nach Zugehörigkeit
Hinter solchen Identifikationen steckt oft ein tiefes Bedürfnis: nach Zugehörigkeit, nach Bedeutung, nach einem Platz im Universum. Katrin sagt: „Ich bin keine Verrückte. Ich bin einfach jemand, der sich im Wasser freier fühlt als an Land. Ich weiß, wer ich bin – auch wenn andere es nicht verstehen.“
Vielleicht geht es gar nicht darum, ob sie wirklich eine Nixe ist. Sondern darum, was uns ihre Geschichte über Sehnsucht, Identität und die Freiheit erzählt, sich selbst zu definieren – jenseits von Norm und Erwartung.
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