In vielen Jobcentern arbeiten inzwischen auch junge, gut ausgebildete Mitarbeitende – voller Elan, motiviert, etwas zu verändern. Doch immer wieder hört man von Fällen, in denen gerade jüngere Angestellte schnell zu einem harten Urteil über Arbeitssuchende kommen: "Die wollen doch gar nicht arbeiten." Woher kommt dieses Bild? Und wie realistisch ist es?
Zwischen Idealismus und Realität
Viele junge Menschen, die neu im Jobcenter anfangen, bringen einen idealistischen Blick auf soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit. Sie wollen helfen, unterstützen, Menschen wieder in Arbeit bringen. Doch schon nach kurzer Zeit sehen sich viele mit der Bürokratie, dem Zeitdruck und den vielfältigen Problemlagen der Klient:innen konfrontiert. Frust entsteht, wenn Fortschritte ausbleiben oder Termine nicht eingehalten werden.
Ein junger Sachbearbeiter, der anonym bleiben möchte, sagt:
„Wenn jemand zum dritten Mal nicht zum Termin erscheint, obwohl wir einen Job in Aussicht haben, fragt man sich schon: Will die Person überhaupt arbeiten?“
Fehlende Lebenserfahrung?
Diese Reaktionen sind menschlich – aber nicht immer gerecht. Gerade junge Mitarbeitende, die vielleicht selbst noch nie in einer finanziell prekären Situation waren, unterschätzen oft die komplexen Gründe, warum jemand nicht sofort wieder in Arbeit kommt. Psychische Erkrankungen, fehlende Kinderbetreuung, Schulden, Wohnungslosigkeit oder schlichtweg Angst vor Veränderung sind nur einige Faktoren, die eine Rolle spielen.
Dr. Martina Feld, Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Arbeitsmarktintegration, erklärt:
„Was wie Unwillen aussieht, ist oft das Ergebnis tiefer Verunsicherung oder struktureller Hindernisse. Der Spruch 'Die wollen nicht' wird zur schnellen Ausrede – auch weil es einfacher ist, Schuld zuzuweisen, als sich mit der Tiefe der Problematik auseinanderzusetzen.“
Der Druck von oben
Nicht zu unterschätzen ist der Druck, unter dem Mitarbeitende stehen. Zielzahlen, Vermittlungsquoten und Dokumentationspflichten dominieren den Alltag. Wer gute Ergebnisse vorweisen will, sucht nach schnellen Erfolgen – und verliert mitunter den Blick für die individuelle Situation.
Einige junge Mitarbeitende übernehmen dann unbewusst ein negatives Menschenbild: Wenn es nicht klappt, liegt’s am „Kunden“. Dieser Mechanismus schützt einerseits vor Enttäuschung – fördert aber auch Stereotype.
Was helfen kann
Damit Vorurteile sich nicht verfestigen, braucht es gute Einarbeitung, Supervision, und vor allem Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Austausch mit erfahrenen Kolleg:innen, Schulungen zu psychischer Gesundheit und soziale Arbeit sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit können helfen, ein realistisches – und zugleich empathisches – Bild zu entwickeln.
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