Für viele ist es selbstverständlich: Ein Blick in die Augen des eigenen Kindes, ein Lächeln, das ins Herz geht. Für Anna M., 37 Jahre alt und von Geburt an blind, war das nie möglich. Ihre beiden Söhne – Luca (8) und Ben (5) – kennt sie nicht durch Bilder oder Blicke. Und doch kennt sie sie besser als jeder andere.
„Ich habe meine Kinder nie gesehen. Aber ich spüre jede Bewegung, erkenne jede Stimme, jeden Atemzug“, sagt Anna mit ruhiger Stimme. In ihrem kleinen Wohnzimmer in einer Vorstadtwohnung herrscht eine besondere Atmosphäre – Wärme, Nähe, Vertrauen.
Blind geboren – und trotzdem Mutter aus vollem Herzen
Anna kam mit einer seltenen Netzhauterkrankung zur Welt. Schon im Säuglingsalter war klar: Sie würde nie sehen können. Für ihre Eltern war das ein Schock – für Anna selbst wurde es einfach zur Realität. „Ich habe nie das Sehen vermisst, weil ich nie wusste, wie es ist“, erklärt sie.
Als sie später ihren Partner kennenlernte und Mutter wurde, kamen Zweifel – nicht von ihr, sondern von außen. „Viele fragten, ob ich das überhaupt schaffen kann – zwei kleine Kinder, ganz ohne Sehkraft.“ Ihre Antwort: „Ich kann es. Nur eben auf meine Weise.“
Ein Alltag voller Sinne
Anna hat ihre ganz eigene Art, den Alltag mit ihren Kindern zu meistern. Sie erkennt ihre Söhne am Klang ihrer Schritte, an der Art, wie sie lachen, wie sie sich an sie lehnen. „Luca ist der Ruhigere, der gerne vorliest – ja, mir liest er oft etwas vor. Ben ist wild, voller Energie, immer in Bewegung.“
Sie kocht, räumt auf, spielt mit den Kindern, begleitet sie zur Schule – oft mit Hilfe moderner Technik oder der Unterstützung einer sehenden Freundin. Und sie bringt ihnen bei, was wirklich zählt: Geduld, Achtsamkeit, Mitgefühl.
Die Welt mit anderen Augen sehen
Luca hat einmal zu ihr gesagt: „Mama, ich glaube, du siehst Dinge, die andere gar nicht sehen.“ Für Anna war das der schönste Satz, den sie je gehört hat.
„Manchmal“, sagt sie, „frage ich mich, wie meine Kinder aussehen. Aber dann nehme ich ihre Hand, spüre ihr Lächeln, und ich weiß: Ich brauche kein Bild. Ich sehe sie mit dem Herzen.“
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