In China ist harte Arbeit für viele Menschen ein zentraler Bestandteil des Lebens. Das Streben nach Erfolg und Wohlstand sowie der Druck, mit den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes Schritt zu halten, führen oft zu langen Arbeitszeiten. Für Millionen von Arbeitnehmenden ist ein 11-Stunden-Arbeitstag keine Ausnahme, sondern die Regel. Doch wie kam es zu dieser Arbeitskultur, und welche Auswirkungen hat sie auf die Gesellschaft?
Ursprung der langen Arbeitszeiten: „996“-Kultur und wirtschaftlicher Erfolg
Ein bekanntes Phänomen in China ist die sogenannte „996“-Kultur. Der Begriff steht für Arbeitszeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, sechs Tage die Woche. Besonders in der Technologiebranche und anderen schnell wachsenden Sektoren wird diese Arbeitsweise oft als „normales“ Maß für Engagement angesehen. Arbeitgeber preisen sie als Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg und Wettbewerbsvorteil an. China hat in den letzten Jahrzehnten ein atemberaubendes Wirtschaftswachstum erlebt, das zu großen Teilen auf der enormen Arbeitsleistung seiner Bevölkerung basiert.
Für viele junge Menschen bedeutet die Arbeit in führenden Technologieunternehmen wie Alibaba, Tencent oder Huawei nicht nur Prestige, sondern auch die Möglichkeit, Karriere zu machen und finanziell abgesichert zu sein. Doch diese Vorteile haben ihren Preis.
Physische und psychische Belastung
Lange Arbeitszeiten fordern ihren Tribut. Studien und Berichte zeigen, dass Überstunden zu gesundheitlichen Problemen führen können, darunter Stress, Schlafmangel, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Viele Beschäftigte kämpfen mit dem Gefühl, keine Zeit für Familie, Hobbys oder persönliche Entwicklung zu haben. Das Risiko eines Burnouts ist hoch.
Ein besonders tragischer Vorfall ereignete sich 2021, als mehrere junge Angestellte großer Unternehmen nach stundenlangen Schichten zusammenbrachen oder sogar starben. Solche Fälle entfachen regelmäßig Debatten über die Grenzen der Arbeitskultur.
Gesetzliche Regelungen und ihr Stellenwert
Chinas Arbeitsrecht sieht theoretisch eine 40-Stunden-Woche vor, ergänzt durch maximal 36 Überstunden pro Monat. In der Praxis werden diese Vorschriften jedoch oft umgangen, insbesondere in privaten Unternehmen. Viele Angestellte arbeiten aus Angst vor Jobverlust freiwillig länger, selbst wenn die Arbeitszeiten ihre Gesundheit gefährden. Gewerkschaften spielen in China eine untergeordnete Rolle, sodass Arbeitnehmerinteressen oft unzureichend vertreten werden.
Die aufkommende Gegenbewegung
In den letzten Jahren regt sich Widerstand gegen die extremen Arbeitszeiten. Junge Menschen, insbesondere die sogenannte Generation Z, stellen die 996-Kultur zunehmend infrage. Bewegungen wie „Tangping“ (auf Deutsch: „Flachliegen“) haben an Popularität gewonnen. Der Begriff beschreibt eine bewusste Entscheidung, sich dem übermäßigen Leistungsdruck zu entziehen und ein einfacheres Leben zu führen.
Auch auf sozialer und politischer Ebene wird das Thema verstärkt diskutiert. Die chinesische Regierung hat in den letzten Jahren mehrere Kampagnen gestartet, um die Einhaltung von Arbeitsgesetzen zu fördern und die Belastung der Arbeitnehmer zu verringern. Einige Unternehmen haben begonnen, flexiblere Arbeitsmodelle einzuführen oder Überstunden zu reduzieren, um Talente zu halten.
Fazit: Ein Balanceakt zwischen Fortschritt und Wohlbefinden
Die Realität eines 11-Stunden-Arbeitstags in China zeigt die Spannungen zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und individuellen Bedürfnissen. Während viele Menschen stolz darauf sind, durch ihre Arbeit zum Erfolg des Landes beizutragen, wächst das Bewusstsein für die negativen Folgen übermäßiger Belastung. Langfristig könnte eine Veränderung der Arbeitskultur nicht nur das Wohlbefinden der Arbeitnehmer steigern, sondern auch nachhaltigeres Wachstum ermöglichen. Die Balance zwischen Fleiß und Lebensqualität bleibt jedoch eine Herausforderung – für China und die Welt.
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