Kein Konto, keine Einnahmen, keine Ausgaben – für die meisten Menschen kaum vorstellbar. Für Raphael Fellmer war es jahrelange Realität. Der Berliner Aktivist entschied sich 2010 ganz bewusst für ein Leben ohne Geld – aus Protest gegen Konsumwahn, Verschwendung und soziale Ungerechtigkeit. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem kleinen Kind lebte er komplett geldfrei – und machte damit Schlagzeilen.
Als wir ihn 2013 besuchten, wirkte er ruhig, fast heiter. Während andere den Kontostand checken, Rechnungen bezahlen oder fürs Wochenende shoppen gehen, kümmert sich Fellmer um ganz andere Dinge: Lebensmittel retten, teilen, organisieren – und auf kreative Weise ein Leben jenseits des Geldsystems gestalten.
Leben vom Überfluss der Gesellschaft
Die Grundlage seines Alltags: Lebensmittel, die andere wegwerfen würden. Über Supermärkte, Bäckereien oder Märkte, bei denen täglich Tonnen an einwandfreier Ware im Müll landen, versorgt sich Fellmer mit allem, was er und seine Familie brauchen. Damit dieses Prinzip auch für andere zugänglich wird, gründete er die Plattform foodsharing.de, über die Lebensmittel geteilt statt weggeworfen werden.
Das Essen ist kostenlos, aber nicht selbstverständlich. Es braucht Engagement, Netzwerkpflege und ein tiefes Verständnis dafür, wie verschwenderisch unsere Gesellschaft mit Ressourcen umgeht.
Ein WG-Zimmer als Zuhause
Auch beim Thema Wohnen fand Fellmer eine ungewöhnliche Lösung. Die evangelische Kirche stellte ihm und seiner Familie ein WG-Zimmer unentgeltlich zur Verfügung. Kein Luxus, aber genug. „Wir haben alles, was wir brauchen“, sagt er – und meint damit vor allem: Zeit füreinander, echte Gespräche, gemeinsame Erlebnisse.
Verzicht als Freiheit
Was für viele wie Armut klingt, empfindet Raphael als Reichtum. Ohne Geld, sagt er, sei er freier – nicht getrieben von Konsum, Verpflichtungen oder Abhängigkeiten. „Ich kann jeden Tag das tun, was ich für sinnvoll halte. Ich arbeite, aber nicht fürs Geld – sondern für die Gesellschaft.“ Fellmer hält Vorträge, organisiert Aktionen, schreibt Bücher – alles auf Spendenbasis oder unentgeltlich.
Natürlich ist ein geldfreies Leben kein Spaziergang. Es braucht ein soziales Umfeld, Kreativität, eine hohe Frustrationstoleranz – und viel Idealismus. Doch Fellmer zeigt, dass Alternativen möglich sind.
Ein Leben als Statement
Raphael Fellmers Projekt ist mehr als ein persönliches Experiment – es ist ein politisches Statement. Gegen die Wegwerfgesellschaft. Gegen das ständige „Mehr“. Und für eine Welt, in der Teilen wichtiger ist als Besitzen.
Ob dieses Leben für jeden machbar ist, darf bezweifelt werden. Doch sein Beispiel regt zum Nachdenken an: Wie viel brauchen wir wirklich? Und was wären wir bereit loszulassen?
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