Seit 22 Jahren lebt Michael Stein (Name geändert) auf der Straße. Was als unvorstellbarer Albtraum für die meisten erscheint, ist für ihn längst zur gewohnten Realität geworden. Seine Geschichte ist keine Seltenheit in der Welt der Obdachlosen, doch Michael hebt sich durch seinen festen Glauben ab, dass das System für seine langjährige Obdachlosigkeit verantwortlich ist.
„Das System hat mich gemacht, wie ich bin“, sagt Michael mit entschlossener Stimme, während er auf einer Bank in einem der vielen Parkanlagen der Stadt sitzt. „Es ist ein Spiel, das man nie gewinnen kann, wenn man nicht die richtigen Karten hat.“ Er spricht von einem System, das seiner Meinung nach die Schwachen zurücklässt und denen, die bereits am Rande der Gesellschaft stehen, keine Chance gibt.
Der lange Weg auf die Straße
Michael, ein 45-jähriger Mann mit rauer Haut und müden Augen, wuchs in einer kleinen Stadt auf. „Meine Eltern waren nicht perfekt, aber sie haben ihr Bestes gegeben“, erinnert er sich. Doch als er 23 Jahre alt war, brach alles zusammen: Arbeitslosigkeit, ein gescheiterter Versuch, eine Familie zu gründen, und die fortwährende Armut trieben ihn in die Verzweiflung. Es war nicht der eine Moment, der ihn zur Obdachlosigkeit führte, sondern eine Reihe von unglücklichen Umständen, die sich wie ein dichter Nebel vor ihm auftürmten.
„Ich habe immer versucht, etwas zu verändern. Aber das System hat mir nie geholfen“, erklärt Michael. Die Jobs, die er fand, waren schlecht bezahlt und instabil. Als er versuchte, ein besseres Leben aufzubauen, kamen Hürden wie hohe Mieten und eine Bürokratie, die oft schwer zu navigieren war, hinzu. Als er dann in eine Wohnung zog, die er sich kaum leisten konnte, erlebte er eine Reihe von Schicksalsschlägen, die schließlich zum Verlust seines Zuhauses führten.
Die Verantwortung des Systems
Was Michael am meisten enttäuscht, ist der Glaube, dass das System – sei es das Arbeitsamt, das Gesundheitssystem oder die Gesellschaft als Ganzes – ihm nie die Unterstützung geboten hat, die er gebraucht hätte. „Es gibt so viele Regeln und Vorschriften, aber sie helfen niemandem, der in meiner Lage ist“, sagt er. Viele Menschen, die wie Michael in Armut leben, kämpfen mit Bürokratie, die undurchsichtig ist, und mit Institutionen, die nicht auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen.
Für Michael bedeutet Obdachlosigkeit nicht nur, kein Dach über dem Kopf zu haben. Es bedeutet, regelmäßig mit den Behörden zu kämpfen, die ihm nicht genug bieten, um sein Leben wirklich zu verändern. „Man gibt dir ein Stück Papier und sagt dir, was du zu tun hast, aber niemand erklärt dir, wie du es schaffen sollst“, erzählt er. In seinen Augen sind Programme zur Unterstützung von Obdachlosen oft nur Beruhigungsmittel, die nicht wirklich helfen, den Teufelskreis von Armut und Ausgrenzung zu durchbrechen.
Der tägliche Kampf
Jeder Tag für Michael ist ein Überlebenskampf. Es geht nicht nur darum, etwas zu essen zu finden oder sich vor der Kälte zu schützen. Es geht auch darum, sein Würde und seine Selbstachtung zu bewahren, während er sich einer Gesellschaft stellt, die ihn oft mit Verachtung oder Gleichgültigkeit behandelt. Doch trotz allem bleibt Michael hartnäckig. Er ist fest davon überzeugt, dass die Verantwortung nicht bei ihm liegt. Er hat nicht versagt – das System hat ihn im Stich gelassen.
„Es ist leicht, uns als Versager zu bezeichnen“, sagt er und zeigt auf einige andere Obdachlose, die in der Nähe sitzen. „Aber wir sind nicht die Ursache des Problems. Wir sind das Ergebnis davon.“ In Michaels Augen ist die Gesellschaft schuld daran, dass Menschen wie er in die Obdachlosigkeit abrutschen. Das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum, unzureichende psychische Gesundheitsversorgung und ein Mangel an langfristiger Unterstützung für Menschen, die einen Neustart brauchen, sind seiner Meinung nach die wahren Übeltäter.
Hoffnung auf Veränderung?
Trotz seiner bitteren Erfahrungen gibt es bei Michael eine gewisse Hoffnung, dass sich irgendwann etwas ändern könnte. „Ich werde weiter kämpfen“, sagt er. „Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der so lebt. Vielleicht, wenn mehr Menschen verstehen, was hier schief läuft, kann sich etwas verändern.“ Für ihn liegt der Schlüssel zur Lösung in einer grundlegenden Veränderung des Systems – mehr Unterstützung, weniger Bürokratie und eine Gesellschaft, die diejenigen nicht aufgibt, die schon am meisten zu verlieren haben.
„Es geht nicht darum, Mitleid zu erregen“, sagt Michael. „Es geht darum, das Problem an der Wurzel zu packen und echte Lösungen zu finden. Denn wenn wir uns nicht um die kümmern, die am meisten Hilfe brauchen, dann ist das System gescheitert.“
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