Die 37-jährige Julia M. aus Nordrhein-Westfalen liebt ihren Beruf: Kinder fördern, ihnen zuhören, gemeinsam mit ihnen die Welt entdecken – für sie ist das nicht nur ein Job, sondern eine Berufung. Nach ihrer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin, mehreren Jahren Berufserfahrung und Zusatzqualifikationen in der Sprachförderung fühlt sie sich bestens aufgestellt. Doch bei der Jobsuche stößt sie plötzlich auf eine unsichtbare Barriere – ihre Tattoos.

Julia trägt auf beiden Händen sichtbare Tätowierungen: kleine Blumen, ein bedeutungsvoller Schriftzug und ein Symbol für Stärke. „Jedes Tattoo hat eine persönliche Geschichte“, erzählt sie. „Sie gehören zu mir, aber definieren mich nicht als Fachkraft. Und sie schrecken Kinder ganz sicher nicht ab – eher im Gegenteil.“

Bewerbung abgelehnt – wegen der Optik?

Trotz überzeugender Unterlagen und positiver Rückmeldungen in Vorstellungsgesprächen bekommt Julia wiederholt Absagen. „In einem Gespräch sagte mir eine Kita-Leitung ganz offen, dass ich super qualifiziert sei, aber die Eltern sich vermutlich an den Tattoos stören würden – besonders, weil sie auf den Händen sichtbar sind.“

Diese Aussagen treffen Julia nicht nur persönlich, sondern werfen auch grundsätzliche Fragen auf: Inwieweit darf oder sollte das äußere Erscheinungsbild Einfluss auf die Eignung für einen pädagogischen Beruf haben?

Gesellschaft im Wandel – aber nicht überall

Tattoos sind längst kein Randphänomen mehr. Laut aktuellen Studien ist fast jede*r vierte Erwachsene in Deutschland tätowiert – bei den unter 40-Jährigen sind es sogar noch mehr. Die Motive reichen von kunstvoll bis symbolisch – und sagen oft mehr über Persönlichkeit, Erfahrung und Lebensweg aus als ein Lebenslauf.

Doch während Tattoos in vielen Branchen längst akzeptiert sind – von der Kreativwirtschaft bis in den Kundenservice – hinkt das pädagogische Umfeld oft hinterher. Es gelten konservative Vorstellungen, besonders im Umgang mit Eltern und Trägern, die „ein sauberes Bild“ der Einrichtung nach außen wahren möchten.

Wie viel Individualität ist erlaubt?

„Ich verstehe, dass es um ein professionelles Auftreten geht“, sagt Julia. „Aber Professionalität hängt nicht von der Haut ab. Ich trage saubere Kleidung, bin pünktlich, zuverlässig – und mein pädagogisches Konzept ist durchdacht und kindgerecht.“

Eltern wünschten sich oft Authentizität, Vielfalt und moderne Vorbilder für ihre Kinder – doch nicht alle Kitas sind dafür offen. Die Angst, bei der Außendarstellung als „zu alternativ“ zu gelten, ist in einigen Trägereinrichtungen noch spürbar.

Ein Appell an Offenheit und Toleranz

Julia hat ihren Weg noch nicht aufgegeben – sie sucht weiter nach einer Kita, die nicht nur Kinder mit Vielfalt begegnet, sondern auch im Team Diversität willkommen heißt. Und sie ist nicht allein. Immer mehr Fachkräfte berichten von ähnlichen Erfahrungen – nicht nur wegen Tattoos, sondern auch wegen Haarfarben, Piercings oder Kleidung.

In einer Zeit, in der wir Kindern Respekt und Toleranz vermitteln wollen, sollten wir beginnen, diese Werte auch gegenüber den Menschen zu leben, die sie erziehen.

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