Es ist sieben Uhr morgens, und in der kleinen Wohnung von Lisa M. (28) in Halle beginnt der Tag – mit Geschrei. Ihre einjährigen Zwillinge, Emma und Noah, sind gleichzeitig wach, gleichzeitig hungrig und wollen gleichzeitig auf den Arm. Lisa ist müde. Und zwar nicht einfach „zu wenig geschlafen“-müde. Sondern erschöpft bis in die Knochen. Körperlich, emotional, mental.

„Ich liebe meine Kinder, wirklich“, sagt sie und streicht sich eine Strähne aus dem zerzausten Dutt. „Aber ich habe manchmal das Gefühl, ich werde bald verrückt.“

Ein Alltag ohne Pause

Seit über einem Jahr lebt Lisa im Ausnahmezustand. Ihr Partner arbeitet im Schichtdienst, Großeltern wohnen weit weg, eine Tagesmutter ist erst in Monaten verfügbar. Also ist sie rund um die Uhr allein mit zwei Kleinkindern. Zwei Kinder, die noch nicht sprechen, nicht schlafen wollen, gleichzeitig zahnen, weinen, klettern – und sich gegenseitig an den Haaren ziehen.

„Ich habe kein einziges Mal mehr als drei Stunden am Stück geschlafen, seit sie geboren wurden“, sagt Lisa. „Ich esse, wenn sie schlafen – also meist gar nicht. Ich dusche mit offener Tür, weil ich Angst habe, dass was passiert. Ich bin nie allein. Nie.“

Von Liebe erdrückt

Was nach „ganz normalem Muttersein“ klingt, ist für Lisa ein Drahtseilakt. „Es gibt Tage, da denke ich: Ich kann nicht mehr. Ich will einfach nur meine Ruhe.“ Doch genau dafür schämt sie sich. „Man erwartet, dass man als Mutter alles mit einem Lächeln schafft. Aber manchmal sitze ich abends heulend auf dem Küchenboden, weil ich einfach nicht mehr kann.“

Psychologen sprechen von mental load, der unsichtbaren Last im Familienalltag – besonders für Mütter. Planen, organisieren, trösten, versorgen – all das rund um die Uhr. Bei Lisa potenziert sich das durch die Zwillinge. Kein doppeltes Glück, sondern doppelte Dauerbelastung.

Hilfe? Fehlanzeige.

Lisa hat mehrfach versucht, Hilfe zu bekommen – vom Jugendamt, vom Familienzentrum, von der Krankenkasse. „Es gibt Programme, ja – aber mit Wartelisten. Beratung nur vormittags, wenn ich eh mit den Kindern allein bin. Ich falle einfach durchs Raster.“

Ihre Stimme wird ruhig, fast resigniert. „Ich will keine Wellness. Ich will nur, dass jemand mal eine Stunde auf sie aufpasst, damit ich schlafen kann. Oder duschen. Oder einfach mal nichts denken.“

Erschöpfung ist kein Einzelfall

Lisas Geschichte steht stellvertretend für viele junge Mütter, die mit kleinen Kindern am Rand der Erschöpfung leben – oft allein, oft ohne Hilfe. Während in der Öffentlichkeit noch immer das Bild der glücklichen, strahlenden Mutter dominiert, sieht die Realität oft anders aus: stiller Kampf, durchwachte Nächte, keine Anerkennung.

„Ich weiß, dass es besser wird. Irgendwann“, sagt Lisa. „Aber bis dahin fühlt es sich manchmal an wie ein Überlebenskampf.“

Was sie sich wünscht? „Dass man Müttern zuhört. Ohne sie zu bewerten. Und dass wir aufhören zu glauben, dass Liebe allein reicht, um alles zu schaffen.“

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